Erfrischend
unaufgeregt
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Bewertung:
Die modernen Krimis zeigen oft ein inflationäres Gemetzel. Die Art, wie die Toten zustande kommen, ist von perfider Gewalt geprägt, die in allen Einzelheiten effektheischend beschrieben wird. Die Ermittler, die die Bluttaten aufklären, sind zudem in den wenigsten Fällen sympathische oder weitgehend normale Zeitgenossen; so könnte man es negativ betrachtet charakterisieren.
Beim Ballhausmörder von Susanne Goga ist dies erfrischend anders. Das Opfer wird betäubt und erdrosselt im Hof von Clärchens Ballhaus aufgefunden, während drinnen zunächst noch die Tanzveranstaltung tobt:
"Die Tangoklänge der Kapelle umschmeichelten seine Stimme und kaschierten deren Schwächen, und die Paare, die sich beim Witwenball dicht an dicht über die Tanzfläche bewegten, nur einander und der Musik hingegeben, bemerkten die falschen Töne nicht. Mehr noch, sie sangen begeistert die Worte mit, die ganz Berlin kannte.
Ich küsse Ihre Hand,
und träum´, es war ihr Mund.
Ich bin ja so galant, Madame,
und das hat seinen Grund." (S. 9)
Wir tauchen ein in das Berlin der zwanziger Jahre. Bei der Toten handelt es sich um die Garderobiere, eine junge und beliebte Frau, die mysteriöser Weise an diesem Tag ein extrem teures neues Kleid trägt, welches sie sich von ihrem kleinen Gehalt kaum leisten könnte. Weitere Besonderheiten, Hinweise auf die Hintergründe zu dem Verbrechen oder gar auf den Täter gibt es nicht.
Kommissar Leo Wechsler und seine Kollegen fahnden in ihrem siebten Fall nach einem Unbekannten, und sie fangen buchstäblich bei null an.
Die Spannung im Krimi entsteht durch das akribische Entwirren der Spuren. Langsam nähern wir uns dem Täter, und anscheinend gibt es noch andere Tote, unaufgeklärte Morde, die in Zusammenhang stehen. Schritt für Schritt kommen wir dem unheimlichen Mörder auf die Schliche. Am Ende stehen wir vor einer menschlichen Tragödie, die für alle Betroffenen, so auch die Ermittler, bedrückend wirkt.
*
Die Charaktere sind überzeugend, ihre Gefühle nachvollziehbar. Hier wird ein Kriminalfall detailliert aufgerollt, realistisch und ohne die sonst oft üblichen Übertreibungen. Ein sympathischer Kommissar, der sich um das Wohl seiner Mitarbeiter kümmert und der auch keinen dubiosen Liebschaften nachgeht, sondern schlicht und einfach glücklich verheiratet ist. So viel Normalität ist fast schon ungewöhnlich, zumindest aber unerwartet. Mir hat es gefallen!
Kurios und erfreulich: Clärchens Ballhaus gibt es heute immer noch. In der Hoffnung darauf, dass sich dort nicht gerade ein neuer Mordfall abspielt, werde ich bei meinem nächsten Besuch in Berlin einmal hineinschauen.
Ellen Norten - 24. April 2020 ID 12185
dtv-Link zu
Der Ballhausmörder von Susanne Goga
Post an Dr. Ellen Norten
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